1990, April: Brief an die Chefredakteurin einer DDR-Zeitschrift, die im Anschluß an eine Diskussion mit westdeutschen Journalisten ihre Enttäuschung bekundete, dass ich ziemlich hilflos-schuldbewußt deren Anschuldigungen über mich ergehen ließ.

 

                                                                                                                                                                                      22.4.90

Sehr geehrte Frau Sch..........                                                                                   

Ich denke, ich muß meine spontanen und deshalb neulich etwas hilflosen Rechtfertigungsversuche in eine so überschaubare Form bringen, dass Ihre Enttäuschung auf ein sicheres Fundament gestellt wird.

Ich halte den Machthabern der zu Ende gegangenen Ära auch nicht mehr insgeheim die Treue. Ich habe aus tiefster Überzeugung den alten Feindbildern abgeschworen, wenn sie denn je für mich bestanden.

Es ist mir nach wie vor nicht sehr sympathisch, mit einem kotzüberheblichen Westjournalisten in einer Reihe zu stehen, aber das ist mir hundertmal lieber, als immer noch mit denen identifiziert zu werden, die Land und Volk, Moral und Wirtschaft und auch den Journalismus und die Journalisten verdorben haben bis ins Mark.

Die aus dem Westen sind nicht nur die Sieger, das kann jedem passieren. Sie hatten aber auch recht. Sie hatten recht, als die das System, dem wir so treu gedient haben, als volksfeindlich definierten. Und wenn sie jetzt ihre Maximen wiederholen, kann ich ihnen, trotz ihrer unübersehbaren Arroganz, nicht widersprechen. Und es stimmt, dass wir unterdrückt waren, und es stimmt, dass wir geliebedienert haben, und es stimmt, dass es unheimlich schwierig ist, sich neu zu orientieren. Denn dem Alten voll Überzeugung abzuschwören, ist ja nur die eine Seite, die andere, wie man mit dem Rucksack von Schuld fertig wird, den man auf sich geladen hat. Wohl dem, der so kaltschnäuzig ist, diese Bürde nicht zu spüren.

Ich wiederhole, dass ich nicht wusste, weshalb man mich zu diesem Treffen einlud. Ich war also auf nichts vorbereitet. Als ich dann  aber so gefragt wurde, wie ich gefragt wurde, hatte ich keine andere Wahl, als Sie, verehrte Frau Sch., und, wie Sie sagten, Ihre Kollegen zu enttäuschen. Aber da das nicht die erste Differenz zwischen uns beiden ist, werden wir wohl damit leben können.

Hochachtungsvoll.......

 

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