1988: Brief aus Kanada an meine Frau, von einer Reportagereise auf einem DDR-Fang- und Verarbeitungsschiff Halifax, 29.2.88 Mein ........... Noch herzlichen Glückwunsch nachträglich zum Geburtstag. Ich wollte Dir ein Bordtelegramm schicken, aber das ging nicht, geht noch immer nicht. Der Grund – wenn ein Schiff im Hafen liegt, darf es selbst nicht senden, da geht alles über die Post, und das verbietet sich von selbst wegen der Devisen. Ich hoffe, Dein Geburtstag hat Dir auch ohne mich ein bisschen Freude gemacht.Sind die Blumen angekommen? Ich hatte Rosen bestellt, bestimmt haben sie etwas anderes gebracht. Über meinen Tisch huscht in diesem Augenblick neugierig eine Schabe. Man gewöhnt sich an die Viecher. Auch an den leichten Fisch-Verwesungsgeruch, der aus den Verarbeitungsräumen aufsteigt. Wir schlafen alle drei im Hospital, ich im Schlingerbett für Schwerkranke. Gästekojen oder gar –kajüten gibt es hier nicht. .......... Wir liegen immer noch im Hafen von Halifax in Kanada. Einer unserer Hilfsmotoren ist kaputt, das dauert noch ein paar Tage. Für uns ist das natürlich ein Glück, denn auf diese Weise lernen wir wenigstens ein bisschen von der Stadt kennen. Von der Umgebung leider nicht, denn wir dürfen immer nur für ein paar Stunden und in kleinen Gruppen von Bord. Wir werden wie Besatzungsmitglieder behandelt, und um keine Verstimmung zu erzeugen, habe ich dagegen auch nichts unternommen. Unser Schiff ist tüchtig verrostet, es ist aber auch schon ein paar Jahre unterwegs, nur die Mannschaften werden immer wieder ausgetauscht. Das Schiff hätte längst in die Werft gemusst, aber „...keine Kapazitäten“. Dass wir hier in Kanada auf einem Stückchen DDR-Territorium sind, merkt man an allen Ecken und Enden. Die Versorgungslage ist katastrophal. Es gibt kein Bier. Ist alle. So wie der Kaffee. Und die Batterien. Und der Mostrich. Und die Limonade. Und die Zigaretten. Und die Leberwurst. Draußen, an Land, quillt alles über. Aber sie kaufen nichts ein. Wegen der Devisen. Ein Kaufhaus gibt es hier, da gehst Du als hinterwäldlerischer DDR-Bürger nach 4 Stunden mit irrem Blick raus und bist völlig verstört. Oder der Buchladen. Ohnmächtig könnte man werden. Sachbücher, Bildbände, Kinderbücher, von den Jugendstilpostkarten bis zu Grimms Märchen, von der illustrierten Weltgeschichte bis .. ach, ich weiß nicht, es gibt eben alles in unvorstellbarer Vielfalt, Pracht, Farbigkeit. Und du stehst da mit deinen 4,50 DM West pro Tag. Gottseidank sind alle Bücher englisch, da fällt es einem ein bisschen leichter zu verzichten. Heute haben wir erfahren, dass wir zum Tanken mehrere Tage nach Norden dampfen müssen, einem sowjetischen Tankschiff entgegen. Zum Fangen müssen wir eigentlich nach Süden, Richtung USA-Shelf. Ein Riesenaufwand, dieser Umweg, der fast die Hälfte des getankten Treibstoffs wieder verbraucht. Wo es doch ohne weiteres möglich gewesen wäre, auch in Halifax zu tanken. Für Devisen natürlich. Die der Kapitän aber nicht hat. Morgen fliegt ein Ingenieur nach Hause, der soll den Brief mitnehmen und zu Hause in den Kasten stecken. Hoffentlich klappt das auch, denn der Kapitän sagte schon wieder so etwas wie „nicht erlaubt“ oder ähnlich. ............
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