1986: Brief an meinen ehemaligen Trainer W.M., der mich bat, an einer Diskussion der Halleschen Zeitung „Freiheit“ teilzunehmen, in der gefragt wurde, wie man sich das Leben im Jahr 2000 vorstellt. Berlin, 16.1.86 He, W., überfordere mich nicht. Ich bin weder willens noch in der Lage, Zukunftsvisionen zu formulieren. Um so weniger, als bereits ein anderer meine Ängste meisterlich definiert hat. George Orwell in seinem „1984“ – das ist es, wohin nach meiner tiefen Überzeugung die Menschheit treibt. Wir hier etwas schneller, in einigen wenigen anderen Ländern, in denen demokratische Mechanismen bremsend wirken, wird es etwas länger dauern. Die miese Veranlagung unserer Gattung wird keinen anderen Ausweg zulassen. Machtausübung ohne Machtmissbrauch – eine Utopie. Formuliere Du Deine Wunschträume, ich werde sie aufmerksam lesen und darüber nachdenken. Aber bekehren werden sie mich nicht. Die Scheiße in der „Freiheit“ kotzt mich sowieso an. Wenn man mit den Prinzipien unserer Öffentlichkeitsarbeit täglich so hautnah zu tun hat wie ich, dann entzündet man sich nicht an dem Gefasel zum Thema „Das Jahr 2000“, sondern man fragt sich geduckt, wann sie einen auch so weit haben, dass man nur noch herumkriecht und schleimt. Denn immer noch ein bisschen stärker als der Hang zum aufrechten Gang ist die Angst, dagegen kannst Du nichts machen, die ist immer da, auch jetzt, da ich Dir diesen Brief (und die folgenden) schreibe. Deshalb werden sie auch nie ganz aufrichtig sein, diese Briefe, denn wenn man mir wirklich mal eines Tages eine abgelichtete Kopie auf den Tisch legt, dann muß ich wenigstens noch eine kleine Chance haben, mich herauszuwinden. Dabei kann ich diese Feigheit nicht einmal Selbsterhaltungstrieb nennen, denn töten würden sie mich ja nicht, sie würden mir nur ein paar Privilegien nehmen, statt Filme zu machen müsste ich vielleicht Kohle schippen oder Zement schleppen. Aber das reicht völlig aus. Obwohl ich bei uns als eine Art Freigeist geführt werde, geht bei mir die Machtrechnung hundertprozentig auf. Erst recht natürlich bei den anderen. Neulich war da einer bei uns, der schien anders zu sein. Sie hatten ihn in die Ecke gedrängt, und statt der geforderten totalen Ergebung ging er nach vorne los und sagte und schrieb herrlich wahre Sachen. Ich hielt mich an ihm fest, dachte, es gäbe sie eben doch, die Ehrlichen, Sauberen, Mutigen, und ich beneidete ihn. Aber dann kam die Ernüchterung. Er entpuppte sich als ein neurotischer Fall, als ein Mann, der auf alles schießt, das ihn umgibt, auf Freund und Feind, auf Gut und Böse. Das Ganze war ein Irrtum.
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